Gemeinsam mit anderen Landesstudierendenvertretungen haben wir das folgende Forderungsschreiben für den Erhalt des Deutschlandtickets und der Forderung nach einem bundesweiten Semesterticket erstellt.
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Download des Schreibens vom 21. März 2023
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrte Ministerpräsident*innen der Länder,
sehr geehrter Herr Bundesminister Wissing,
sehr geehrter Herr Bundesminister Lindner,
sehr geehrte Landesminister*innen,
– Nachrichtlich an den Bundesminister für besondere Aufgaben
und die Chef*innen der Staats- und Senatskanzleien –
in Anknüpfung an das angehängte Schreiben vom 21. März im Vorgang der damaligen Verkehrsministerkonferenz, ersuchen wir Sie, um dem Willen unserer Kommiliton*innen für sozialverträgliche Mobilität erneut Ausdruck zu verleihen.
Die Studierenden bleiben als Statusgruppe nicht oder zu wenig berücksichtigt, wir werden nicht in die bestehende Kommunikation zwischen Bund und Länder einbezogen und werden allenfalls mit marginal ausgefallenen Angeboten, gekoppelt mit aufwendig gestalteten Verwaltungsverfahren abgespeist, welche vielerorts eher an den berüchtigten “Passierschein A38” erinnern. Hierbei ist es egal, ob es dabei um das Thema BAföG, studentisches Wohnen oder studentische Mobilität geht.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Einführung des Deutschlandtickets und daran anknüpfend die sogenannte “Upgradelösung” zum fakultativen Erwerb des Tickets durch Studierende. Daher wäre ein Scheitern des Deutschlandtickets aufgrund von unangebrachter Sparpolitik nicht nur das symbolische Ende der Mobilitätswende innerhalb der viel beschworenen Zeitenwende, sondern darüber hinaus auch die Bankrotterklärung an unsere Werte als Sozial- und Rechtsstaat, da die bereits bestehende Freizügigkeit und die freie Entfaltung von Millionen finanziell schlechter gestellter Menschen akut gefährdet ist.
– Das Deutschlandticket muss bleiben! –
Wie gemeinhin bekannt ist, ergeben sich aus dieser “Upgradelösung” und den parallel angebotenen “Jobtickets” erhebliche juristische Spannungsfelder mit den bereits lokal existierenden Semestertickets, da diese überwiegend im Solidarmodell angelegt sind. Diesem Umstand hat auch die Verkehrsministerkonferenz Rechnung getragen, als diese durch Beschluss vom 22.03.23 die rechtssichere Integration der bestehenden Semestertickets in das Deutschlandticket zum Sommersemester 2024 durch ein bundesweites Solidarmodell als prioritäre Handlungsmaxime definierte. Dieser Beschluss fußt bereits nachweislich auf einer Absichtserklärung in den Tarifbestimmungen zum Deutschlandticket vom 27.01.23, welche durch sämtliche Akteur*innen gebilligt wurde.
Den Konsens aller beteiligten Akteur*innen zur Notwendigkeit des Deutschlandtickets und eines bundesweiten Semestertickets vorweggenommen, verwundert uns die fortwährende ablehnende Haltung des Bundes zur weiteren Finanzierung von Deutschlandticket und bundesweitem Solidarmodell durch die Minister Wissing und Lindner nicht nur, sie ist uns einfach unverständlich, und schlichtweg inakzeptabel sowie ignorant. Unsere Haltung hierzu begründet sich auf den kalkulativen Annahmen verschiedenster Akteur*innen, dass ein bundesweites Semesterticket im Solidarmodell bereits zu einem sozialadäquaten Preis von maximal 29 € nicht nur kostenreduzierend wirken kann, sondern eine wirtschaftliche Kostendeckung möglich ist. Als kostendeckende Faktoren müssen hierbei berücksichtigt werden:
Abbau/Verringerung des Verwaltungsaufwand
- Wegfall regelmäßig wiederkehrender Vertragsverhandlungen zwischen Studierendenschaften/Hochschulen und Verkehrsverbünden, sowie die juristische Erstellung und Bewertung der Verträge
- Vereinfachte und günstigere Abrechnungsmodelle durch ein semesterweises Abo statt einem monatlichen Abo.
- De facto Abschaffung der Kleinstaaterei im Verkehrswesen
- Beendigung des Tarifdschungels bei räumlicher Überlappung von Verträgen zwischen Studierendenschaften/Hochschulen und Verkehrsverbünden im selben Gebiet
Wegfall von Zusatzkosten
- Online-Buchungen/Zahlungen von Abos verursachen Transaktionsgebühren für die Verkehrsunternehmen
- Die teils sehr hohen Kosten für die laufende Bereitstellung von Softwarelösungen und Serverkapazitäten von Drittanbietern pro Verkehrsverbund in Deutschland würden auf einen Schlag erheblich minimiert werden.
Gesicherte Finanzierung
- Bereits zu Semesterbeginn steht den Verkehrsverbünden der gesamte Betrag als planbare Einnahme im laufenden Haushalt zur Verfügung
- Auch Hochschul- und Universitätsstandorte, die bisher kein (Solidar-)Semesterticket haben, bekämen einen erleichterten Zugang und würden den Kund*innenkreis erweitern
Die Tatsache, dass wir als Studierendenvertretung unserer genuinen Aufgabe – der Verkörperung des Willens der Studierenden – nur über das Formulieren von Briefen und Pressemitteilungen nachkommen können, und nicht selbst am Verhandlungstisch sitzen, ist für uns bei vielen Themenkomplexen zur schmerzhaften Regel geworden. Dass dies auch bei so einem wichtigen Thema wie einer potentiellen bundesweiten studentischen Mobilität geschieht, gibt uns einmal mehr den Anlass, Ihnen als politische Amtsträger*innen zu zeigen, dass wir nicht in eine fatalistische Lethargie verfallen, sondern für unsere Rechte als Studierende kämpfen.
Daher fordern wir Sie auf, uns – die Allianz der Landesstudierendenvertretungen und des freien zusammenschlusses von student*innenschaften (fzs) – mit an den Verhandlungstisch zu holen. Eben die Möglichkeit des kurzfristigen, direkten und dennoch profunden Austausches zwischen Politik, Fachebene der Ministerien und unseren Studierendenschaften als Vertragspartnerinnen des Tickets, hätte sicherlich einige unnötige Diskussionen im Koordinierungsrat durch zusätzliche Informationen und Sichtweisen simplifiziert und verkürzt. Da wir sehr wohl wissen, dass eine künstliche Vergrößerung der Gremien nicht zielführend ist, schlagen wir vor, dauerhaft drei studentische Vertreter*innen in die Gremien und Beratungen mit aufzunehmen. Hierbei wäre ein mögliches Modell zur Partizipation aller studentischer Interessenvertretungen die Mandatierung jeweils einer Person aus dem freien zusammenschluss von student*innenschaften und der Landesstudierendenvertretungen aus den alten sowie den neuen Bundesländern.
– Studierende müssen über ihre Mobilität aktiv mitentscheiden können. –
Die Semestertickets im Solidarmodell wurden damals geschaffen, um den Studierenden vergünstigte Tarife für den öffentlichen Personennahverkehr zu gewähren. Der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichtsfolgend, stellt die “Upgradelösung” zum Deutschlandticket die Solidarsysteme bundesweit in Frage und destabilisiert diese. Obwohl die brisante Lage allen politischen Akteur*innen bekannt ist, müssen wir in Nordrhein-Westfalen mit großem Entsetzen beobachten, wie eine Flut der Vertragskündigungen über das Land rauscht und das bisherige Leben von einer dreiviertel Millionen Studierenden nachhaltig verändert – ja sogar existentiell bedroht. Man muss hier besonders berücksichtigen, dass die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zur Armutsgefährdung ergaben, dass ganze 37,9 Prozent der Studierenden deutschlandweit armutsgefährdet sind – bei den alleinlebenden bzw. in Wohngemeinschaften lebenden Studierenden liegt die Zahl sogar bei 76,1 Prozent. Hinzu kommt, dass diese Entwicklung in Nordrhein-Westfalen als Bundesland mit den meisten Studierenden sehr schnell für eine weitere Zuspitzung der sozialen Ungleichheit sorgen wird. So wird das Recht auf Bildung durch die zukünftig täglich anfallenden hohen Tarife für Mobilität zwischen Wohnort und Hochschule schnell zum Luxusgut pervertiert. Neben den bereits eingeschriebenen Kommiliton*innen wären durch diese Entwicklung auch die zukünftigen Generationen an Studierenden bereits jetzt massiv in ihrer freien Entfaltung und ihrem künftigen Bildungsweg beschnitten. Durch eine Exzellenzcluster-Initiative, die die Budgets der Universitäts- und Hochschullandschaft ungleich verteilt und dadurch die Ausrichtung von Fächerprofilen diktiert, durch mangelnden studentischen Wohnraum und durch fehl geplantes BAföG werden die Studierenden von Morgen bereits jetzt schon stark in ihrer Studienortwahl eingeschränkt. Soll nun auch wirklich noch der Preis der Mobilität für studierwillige Menschen und deren Lebensweg als K.O.-Kriterium hinzukommen?
Die bereits genannte Flut der Kündigungen hat beachtliche Signalwirkung auf Studierendenschaften in den anderen Bundesländern. Dass die Flut mit all ihren Konsequenzen über zu schwappen droht, spüren wir bereits jetzt in Brandenburg, Berlin und Niedersachsen. Aus unserer Sicht ist es unerträglich, dass die Bundespolitik hier sehenden Auges ein sehr hohes Risiko eingeht und die möglichen Konsequenzen wieder einmal von uns Studierenden getragen werden müssen.
Erschwert wird die Lage dadurch, dass den ehrenamtlichen Verantwortlichen der Studierendenvertretungen keine andere Möglichkeit als die Kündigung bleibt. Wir wissen mittlerweile rechtssicher, dass ein Unterlassen der Kündigung nicht nur die ständige Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht verletzt hätte, sondern damit auch eine private Haftbarkeit begründet worden wäre. Da diese Entwicklungen auch unter dem Vorzeichen eines vorzeitigen Scheiterns des Deutschlandtickets durch die Blockade der Bundesministerien zu sehen sind, fordern wir Sie auf, eine Lösung zur Existenzsicherung der jetzigen Tickets zu finden. Es darf nicht sein, dass bei einem Scheitern oder Auslaufen des Deutschlandtickets Studierende ohne Zugang zu einer sozial verträglichen Mobilität dastehen.
Aus Sicht der Studierendenvertretungen halten wir ein Semesterticket im Solidarmodell zum Sommersemester 2024 für maximal 29 € für sozialadäquat und zeitlich umsetzbar. Wir plädieren inständig dafür, den eingeschlagenen Weg im Sinne der sozialen, generationalen und klimatischen Gerechtigkeit nicht zu verlassen. Ein ÖPNV für alle ist längst keine Frage der Machbarkeit mehr, sondern eine Frage des Willens und des moralischen Verantwortungsbewusstseins.
Mit freundlichen Grüßen
Rudy Bernard Cruz für die LandesAStenKonferenz Rheinland-Pfalz
Julius Kiekbusch für die Brandenburgische Studierendenvertretung
Lara Wojahn für die Landes-ASten-Konferenz Schleswig-Holstein
An Tang für die Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg
Lukas Achenbach für die Landes-Asten-Konferenz Saarland
Paul Steinbrecher für die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften
Manuel Flauaus für die Landes ASten Konferenz Hessen
Lukas Wanke für die Studierendenrätekonferenz Sachsen-Anhalts
Lara Thien für die Landes-Asten-Konferenz Hansestadt Hamburg
Florian Walter für die Landes-ASten-Konferenz Bremen
Robert Gebauer für die Landeskonferenz der Studierendenschaften Mecklenburg-Vorpommern
Sascha Wellmann für den freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.
Fay Uhlmann für den freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V